Niklas Görke, geb. 1974, tauchte früh in die Bilderwelt der Fotoreportagen der GEO und National Geographic Magazine ein, die seine Eltern abonniert hatten.
Mit 11 Jahren hatte er seine erste kleine Dunkelkammer in der Waschküche zuhause.
Obwohl ihn die Fotografie nie losließ, studierte er Jura und arbeitete zunächst als Vertragsjurist in Friedrichshafen, München und Paris.
2008 erfolgte der Umstieg in die Selbständigkeit als Fotograf mit Sitz am Bodensee. Zu den kommerziellen Aufträgen vornehmlich im Gesundheitssektor und für mittelständische Unternehmen kamen Reportagen und freie Arbeiten. Daneben besuchte er eine Masterclass bei Alex und Rebecca Webb in Oslo.
Für ein Unternehmen aus Friedrichhafen entwickelte er ab 2013 Photogrammetriesysteme, unter anderem 3D-Scanner mit über 80 Kameras. Nach dem Aufbau der 3D-Scanstudios in Friedrichshafen sowie Frankfurt in 2014 arbeitet Görke wieder als selbständiger Fotograf in Frankfurt a.M.
Weil sein Studio dort über eine Dunkelkammer verfügt, erleichterte dies Anfang 2019 den Einstieg in die Kollodium-Nassplattenfotografie, die ihn seither fast ausschließlich beschäftigt. An dieser historischen Technik fasziniert ihn neben der Tiefe und Lebendigkeit der belichteten Glas- oder Aluminiumplatten, wie jeder Verarbeitungsschritt seine Spuren im Bild hinterlässt und dieses zu einem Unikat macht.
Nachdem er zunächst nur im Studio Porträts aufnahm, entstand der Wunsch, diesen sperrigen Prozess auf die Straßen der Großstadt zu tragen, deren Szenen, Raumdimensionen und Perspektiven ihn immer noch in ihren Bann ziehen. Die Nassplattenfotografie bedingt aber die Ausführung aller Prozessschritte vom Beschichten der Platten über die Belichtung bis zur Fixage in nur wenigen Minuten am Ort der Aufnahme.
Deshalb baute er sich eine mobiles Minilabor für sein Lastenrad und kann nun frei in der ganzen Stadt auf Nassplatten fotografieren. 2020 begann die Projektarbeit für „Tin City“, mit abschließender Ausstellung im August/September 2020 in der Galerie 1822-Forum. Niklas Görke lebt mit seiner Familie in Frankfurt a.M.
Guido Guidi – Guardando a Est
Koenig Books, London, 2015
Niklas Görke: Keines meiner Fotobücher habe ich öfter in die Hand genommen als dieses, für das Guidi fünfzehnmal in die nordöstlichste Region Italiens gereist ist. Obwohl präzise und durchdacht im Großformat aufgenommen, führt das Formale nicht zur Erstarrung. Guidi bringt eine gewisse Beiläufigkeit hinein, wie es der spontanen Reisenotiz im Vorübergehen entspräche.
Und so sind es Zwischenstationen, Nichtorte wie Hafenanlagen, Parkplätze, Hinterhöfe, in denen Guidi uns doch zeigt, dass Jemand dort ist. Manchmal am Rande, verwischt in der Bewegung, manchmal im Porträt.
Aber es wirkt nicht so, als hätte er nur auf die Menschen gewartet, „damit noch etwas ins Bild kommt“. Dadurch strahlen die Bilder für mich eine große Unmittelbarkeit aus, ein starkes Gefühl für den Ort.
Wie sich Guidi in Sequenzen durch kleine Veränderungen des Kamerastandorts einem Ort annähert, sich Menschen darauf einfinden und dennoch der Ort nur spannender wird und sein Geheimnis nicht verliert, ist aufregend und lehrreich zugleich.
Schließlich legt Guido Guidi über alles eine ungeheure Eleganz und eine Farbpalette, die so im alltäglich Gewöhnlichen nur in Italien zu finden ist.
John Gossage – Looking up Ben James
Steidl, Göttingen, 2016
Niklas Görke: Dieses Buch ist erfrischend. Gossages Blick ist vollkommen unprätentiös. Nichts wirkt erzwungen oder vorhersehbar.
Er ist ein Meister darin, auch in den alltäglichsten und gewöhnlichsten Situationen fotografische Möglichkeiten zu finden, die mehr sind als die reine Szene.
Er zeigt niemals, was wir schon gesehen haben, alles ist frisch, auch wenn es zeitlos wirkt.
Die Aufnahmen – hier Straßenszenen, Landschaften, Stilleben und Porträts in England auf einem gemeinsamen Roadtrip mit Martin Parr – sind für mich allesamt Lehrstücke dafür, aus welche Elementen man noch eine funktionierende Schwarzweißfotografie zusammensetzen kann. Und das spontan beim Bewandern von Nebenstraßen.
Wie und wohin er die Schärfe setzt, überrascht mich oft. Die Aufnahmen erhalten dadurch eine weitere, ja lyrische Dimension, die aber auf keinen Fall gefällig wirkt.
Dieses Buch hält mich dazu an, die eigenen Sehgewohnheiten auf Verkrampfung hin zu überprüfen und selbstverfügte Dogmen schnellstens als Sondermüll zu entsorgen.
Takashi Homma – The Narcisstic City
Mack 2016
Dieses Buch wütet noch in mir, wenn es schon längst wieder im Regal steht.
Auf jeder Seite kollidiert die in der Großstadt gespeicherte Energie mit Takashi Hommas Kamera und alles reagiert dann miteinander in seiner Dunkelkammer. Verdichtung durch Fragmentierung.
Mir scheint, als hätte Homma mutwillig alle klaren Stadtansichten, die er aufgenommen hat, zerstört, zerstückelt und verdreckt, wieder grob zusammengefügt und dabei den Extrakt des Gefühls gewonnen , von der Stadt angeblickt — oder vielmehr: erfasst zu werden.
Die Stadt als Zustand wahrzunehmen, als wucherndes Wesen, das unkontrollierbar in und hinter und unter den Fassaden lebt und nicht zu fassen ist — dieses Buch hat mir verraten, dass dort noch ein Drache haust.