„Die Nervosität ist lustigerweise immer gleich geblieben. Je mehr ich die Band mag, desto nervöser bin ich.“
Alfred van Luttikhuizen – John Coffey
Erzähl mal ein bisschen was zu Dir, wo kommst Du her, wo liegen Deine fotografischen Wurzeln und was fotografierst Du gerne?
Ich bin Per, bin 42 Jahre alt und habe in der 9. Klasse einen Foto-AG Kurs gemacht. Das Ganze hat mich sehr interessiert und da ich damals in meinen Jugendjahren, wie auch heute, so ein kleiner Punk bin, habe ich mich unter meinem zweiten Vornamen in der 10. Klasse nochmal in diesen Fotokurs reingeschmuggelt. Nach Schule und Zivildienst habe ich ganz klassisch eine Fotoausbildung gemacht, bin nach Köln gezogen, hab anschließend mein Fachabitur nachgeholt und dann ein Jahr lang fest assistiert um meine Mappe zu machen. Habe dann noch ein Designstudium in Darmstadt drangehängt. Diplom dann in 2008. Habe dann weiter bis 2010-2011 bei verschiedenen Fotografen assistiert, aber so ab 2011-2012 haben die eigenen Jobs überhand genommen und das Assistieren abgenommen. Nach all den Jahren bin ich schließlich in der People-Fotografie heimisch geworden. Aber zu Musik und Bands hatte ich schon immer einen Draht. Zum Beispiel habe ich 1996 meine erste Punkband (Ignite) kennengelernt, abends auf einem Konzert das die gespielt haben. Ich hatte – das war kurz vor meinem Zivildienst – dann nicht wirklich was zu tun und bin die komplette Tour durch Deutschland mit denen mitgefahren. Das sind Amerikaner und ich glaube sie haben 20 Konzerte auf der Tour in Deutschland gespielt. Ich war bei 10 oder 12 Konzerten mit dabei, immer mit einer kleinen Kompaktkamera, die ich damals hatte. Hab die Fotos gemacht, am nächsten Morgen zum Entwicklungsladen, gekuckt ob‘s was geworden ist und dann nachmittags wieder direkt mit der Band in die nächste Stadt. Hab da aber gemerkt daß ich dokumentarisch nicht so gut bin, daß ich lieber inszeniere und bin so im Bereich der People-Fotografie gelandet. Ich bin auch ein sehr sehr starker Licht-Frickler und versuche immer ein schönes Licht zu inszenieren. Das ist so mein Ding geworden.
Frank Carter – Frank Carter & The Rattlesnakes
Diana Vu – Swain
Jason Aalon Butler – Letlive
Per Schorn, Du fotografierst Musiker und Bands. Wie erreichst Du sie? Ist es eine Mischung aus Geduld und einer sensiblen Beharrlichkeit? Immer wieder nachhaken, ohne die Leute zu nerven, um keine verbrannte Erde zu hinterlassen?
Es ist tatsächlich so. Manchmal kommen Absagen. Darunter sehr nette Absagen! Tori Amos hat mir persönlich geschrieben — auch wenn es nur eine Zeile war. Sie habe leider keine Zeit während ihres Konzerts in Frankfurt, finde aber das Projekt interessant.
Hast Du das Management kontaktiert oder direkt die Bands?
Ganz unterschiedlich. Trotzdem weiß ich nie: Hat meine Mail die Band erreicht? Hat sie überhaupt den richtigen Manager erreicht? Oder ist sie bei irgendjemandem im Management im Postfach gelandet, der meine Mail für unwichtig gehalten und direkt gelöscht hat?
Das Management hatte mir bei der letzten Tour von Motörhead abgesagt — mit einer vorgefertigten Email. Und weil sie da von “Fotos im Graben während des Konzerts” schrieben, wusste ich, dass sie meine Email gar nicht richtig durchgelesen haben. Da lohnt sich für mich ein weiterer Ansprech-Versuch nicht. Sie werden auch die zweite Email nicht wirklich lesen! Sie werden sie überfliegen, werden irgendwas von Fotos lesen und denken, der will Live-Fotos machen. Dann sagen sie halt ab.
Aber viele Tour- oder Band-Manager haben mir später gesagt: Wir hatten Dein Projekt nicht ganz verstanden. Und manchmal klappt was, wenn man es gar nicht erwartet.
Wenn man es gar nicht erwartet?
Great Collapse, die Vorgruppe von Rise Against hatte ich angeschrieben. Rise Against füllen ja große Hallen mit 8.000 bis 10.000 Leuten, wie die Frankfurt Festhalle oder die Schleyer-Halle in Stuttgart. Und nach unserem Fototermin sagten Great Collapse: „Sag mal, willst Du Rise Against nicht auch fotografieren?” – „Aber das Management hat doch gesagt, sie wollen nicht.“ – „Das können wir uns nicht vorstellen, wart mal kurz!”. Und dann haben die mich rübergezogen in den Backstage Raum von Rise Against: “Hier, der Per, tolles Projekt! Guckt Euch das mal an!”
Rise Against waren total begeistert und fragten direkt: „Wo steht denn die Fotokabine?” „Im Nachbarraum! Ich hab gerade Great Collapse fotografiert…“ „Klasse, wir sind alle hier, wir machen mit. Wir kommen in zwei Minuten rüber!” Innerhalb von wenigen Minuten waren die Bilder im Kasten.
Arnim Teutoburg-Weiss – Beatsteaks
Juliette Lewis – Luiette & The Licks
Hattest du so etwas wie Lampenfieber wenn Du es mit einer bekannten Band zu tun hattest, und hat sich Dein Verhältnis zu Bands, zur Musik, zu Musikern geändert?
Die Nervosität ist lustigerweise immer gleich geblieben. Je mehr ich die Band mag, desto nervöser bin ich. Das kommt gar nicht auf die Größe an, ich war bei den Jungs von Rise Against glaube ich relativ abgeklärt, obwohl die vor 10.000 Menschen spielen, weil ich sie halt schon aus Hallen kenne, wo sie vor 100 oder vor 200 Leuten gespielt haben als Vorgruppe von Sick of it all. Auf der anderen Seite war ich bei – jetzt muss ich kurz zurücküberlegen – Bad Religion wahnsinnig wahnsinnig nervös, weil sie mich halt schon so lange begleiten. Ich glaube ich habe sie 2016 oder 2017 fotografiert und ich höre sie seit ich 13 bin, das heisst seit 1991. 1992 kam die Generator raus, die ich mir gekauft habe. Ich war wirklich nervös, ob die Band arschig zu mir ist, ob sie Lust auf das Projekt hat. Selbst wenn du sagst, die Band hat heute einfach einen schlechten Tag oder sowas, es gibt Dir einen kleinen Dämpfer, wenn eine Band nicht mitmachen möchte. Weil du halt ein Fan bist, das ist ein Fanboy Projekt. Aber alle Bands, die ich fotografiert habe und zwar alle, sind nach wie vor Bands, die ich auflege und nicht irgendwie ein schlechtes Gefühl dabei habe. Es hat mich manchen Bands oder der Musik mancher Bands noch näher gebracht, weil sie so unfassbar nett waren, oder wir mittlerweile diese freundschaftliche Komponente haben, wodurch ich die Musik noch mehr zu schätzen weiß. Und wie gesagt, Nervosität, ich glaube das ist genauso wie das Schauspieler oder Musiker auch sagen, es ist nach wie vor eine gewisse Grund-Nervosität da. Egal ob Du schon 100 oder 1000 Bands fotografiert hast und ich kann auch mit Sicherheit jetzt alleine von meinem Plattenregal zu Hause sagen ich schaffe nochmal 110 Bands, weil ich halt einfach ein musikverrückter Mensch bin und es immer wieder neue Bands geben wird, die ich interessant finde und die ich gerne fotografieren möchte.
Und welche Band hast Du noch auf Deiner Wunschliste?
Rancid wollte ich mal portraitieren. Sie haben auf mehreren Stadionkonzerten als Vorgruppe von Green Day gespielt. Von ihnen habe ich bis heute keine Rückantwort bekommen. (Meldet Euch!)
Wie viel Zeit hast Du für das Projekt benötigt – von der ersten bis zur letzten Band?
Rival Schools, das war die erste Band. Im Sommer 2011 habe ich sie portraitiert. In den letzten 10 Jahren konnte ich 15-20 Bands pro Jahr fotografieren. 110 Bands bis heute…!
Wenn Corona nicht gekommen wäre, hätte ich bestimmt weitergemacht. Durch das Nicht-Stattfinden von Konzerten in jeglicher Form habe ich mich ans Layout gesetzt und das zusammen mit dem befreundeten Grafiker Fred Beier realisiert. Und ich will zusammen mit Seltmann Publishers, ein Verlag dessen Bücher ich schon lange bewundere, via Crowdfunding das Buch herausbringen.
Torgeir Kjeldaas – Wolves like us
Haben die Bands von Dir Fotos bekommen?
Ja, jede Band darf die Fotos nutzen, wie sie gerne möchte. Fast jede Band hat meine Fotos auf Facebook oder den anderen sozialen Medien geteilt. Zuletzt Bad Religion, die darunter geschrieben haben “Bald wieder Gruppenknuddeln”. Deichkind waren es vor 3 oder 4 Monaten, die die Bilder tatsächlich dann auch nochmal zu Thema “Wir wollen bald wieder verschwitzte, volle Clubs haben” benutzt haben. Die Sportfreunde Stiller haben Autogrammkarten davon machen lassen. Ein paar Bands haben es als Tour-Plakate benutzt. Es gibt ein Album, in dem ein Foto aus der Serie drin ist. Und jetzt eben das Buch.
Was ich wahnsinnig beeindruckend finde: mindestens zwei Menschen haben sich Portraits von Musikern aus der Serie tätowieren lassen. Einmal ein Fan. Und einmal ein Sänger, der sich einen anderen Musiker, der leider zwischenzeitlich verstorben ist, hat tätowieren lassen mit einem der Fotos, die ich gemacht habe.
Das nenne ich mal eine besondere Ehre!
Wirklich, oder? Als ich den Post von der Tätowierung gesehen habe, kam mir das Foto bekannt vor. Uns es war wirklich mein Foto! Der Fan lebt lustigerweise auch in Deutschland. Also hab ich Kontakt aufgenommen über die sozialen Medien und hab ihm dann halt einfach nochmal einen Print von diesem Foto zugeschickt.
Noam Cohen & Boy Tillekens- Swain
Tim McIlrath – Rise Against
Frank Turner – Frank Turner & The Sleeping Souls
Gibt es Band- oder Musikerbilder die Du besonders magst?
Leute fragen mich, wenn ich einen Teil zur Ausstellung beisteuere „such doch mal ein, zwei Bilder aus“ – das ist verdammt schwer. Weil das alles Bands sind, die ich mag und die ich schätze und die meisten Bands, oder eigentlich alle Bands, sich auch wirklich Mühe gegeben haben bei den Fotos, entweder sich was ausgefallenes einfallen zu lassen oder halt einfach verrückte Gesichtsausdrücke oder lustige Grimassen zu machen. Es gibt beispielsweise ein Bild von Garrett Klahn, der so unfassbar herzhaft auf einem Bild lacht, daß ich jedes Mal selbst lachen muss wenn ich dieses Bild sehe. Oder ein skurriles Bild, auf dem der Bassist von Small Brown Bike mitten in der Fotokabine hochspringt und man nur noch seinen Schritt und die Jeans im Bild hat und kein Oberkörper und kein Gesicht mehr zu sehen ist. Es gibt aber auch Wolves like us, wo Torgier die Haare so stark schüttelt, daß er wirklich aussieht als wäre er am Headbangen in der Kabine. Es gibt ganz ganz viele Bilder, zu ganz verschiedenen Anlässen. Ich glaube es ist so wie wenn Du Dir zu einer bestimmten Laune die Du hast, die passende Musik aussuchst, so würde ich glaube ich auch meine Bilder in der Fotokabine aussuchen. Ich kann Dir nicht sagen, daß ich da einen Favoriten hab, das ändert sich je nach Tageslaune, Stimmung und Gefühl.
Du hast zehn Jahre an dem Projekt gearbeitet, hast extrem viel Herzblut und Energie reingesteckt, wahrscheinlich auch viel Geld. Würdest Du es nochmal machen?
Ich würde es jederzeit sofort nochmal machen. Das Geld war aber auch nie Hintergrund bei dieser Serie. Es gibt die Songzeile von H2O, die sinngemäß übersetzt sowas heißt wie “Mir ist aufgefallen, dass ich alle meine Vorbilder schon persönlich kenne”. Ich habe wahnsinnig viele Bands kennengelernt in dieser Zeit. Bands, die ich teilweise höre, seit ich 13 oder 12 Jahre alt bin! Zur Musik mancher Bands hat es mich noch näher gebracht, weil sie so unfassbar nett waren. Und mit einigen Musikern bin ich mittlerweile so eng, dass ich sie wirklich als Freunde bezeichnen kann, so dass ich ihre Musik noch mehr zu schätzen weiß.
Das klingt so als würde das Projekt weitergehen, oder?
Ja, ich habe mich zurückgelehnt und darüber in Ruhe nachgedacht ob es nach einer Zwischen-Bilanz von 110 Bands damit weitergeht oder ob ich ein neues Projekt aufmache. Das weiß ich im Moment noch nicht. Es gibt auf jeden Fall wieder ein neues Projekt mit Musikern, die ich portraitieren möchte. Vielleicht gibts in 10 Jahren das Volume 2, vielleicht gibts auch nur in 10 Jahren irgendwann nochmal ne Serie in irgendeinem Magazin nochmal mit 5 Bands oder sowas. Vielleicht gibts das auch irgendwann mal als Version 2.0 und ich werde die nächsten Bands alle in Farbe in der Fotokabine fotografieren. Mal schauen was die Zeit so bringt.
Verkaufst Du auch Prints aus dieser Serie?
Bisher habe ich noch keine Prints aus der Serie verkauft, ich habe mehrere Ausstellungen, unter anderem auf der Photokina mit den Bildern gehabt und es wird natürlich Prints geben, definitiv, das ist ja neben dem Buch selbst einfach die schönste Form diese Fotos zu nutzen, oder sich selbst eine Erinnerung zu kaufen an Bands, die man mag. Ich bin mir lediglich im Moment noch nicht 100% sicher, in welcher Form es die Prints hinterher geben wird. Ob ich sie sehr stark limitieren werde, oder ob ich verschiedene Größen anbiete, weil mir ja natürlich bewusst ist, daß in dem Genre Punk per se erstmal kein Geld steckt. Auch bei mir ist das genauso gewesen als Jugendlicher, man hat sich eher Musik auf Kassetten überspielt, als sich die Original Schallplatten oder die CDs zu kaufen, d.h. ich muss es irgendwie auch so machen, daß es für jeden, der letztendlich Fan von dieser Band ist realisierbar ist, sich sowas zu kaufen, wenn man das gerne haben möchte.
Das geht ein bisschen konträr zu meiner normalen Situation als Fotograf, beziehungsweise als Künstler, da sollte ein Bild ja möglichst selten reproduziert werden und damit einhergehend einen möglichst hohen Stellenwert haben.
Und das muss ich für mich in den nächsten Wochen bis das Crowdfunding anläuft rausfinden, wie genau ich das realisieren möchte.
Vielen Dank Per für Deine Zeit, die sehr interessanten Einblicke in Dein Leben und dieses coole Projekt !
Greg Hetson – Punkrock Karaoke